Achtsamkeit

Ein großes Wort in aller Munde …

…aber was bedeutet es wirklich achtsam zu sein.

 

Während der letzten Wochen habe ich viele Posts auf Facebook kommentiert und Fragen beantwortet, zum Thema Übergewicht im Yoga. Das Thema „Yoga für Alle“ bekommt immer mehr Beachtung. Immer wieder meldeten sich Teilnehmer:innen zu Wort, die ihre Erfahrungen in Yogakursen beschrieben. Ich wunderte mich nicht nur einmal, was so los ist in der „Yogaszene“. Ich empfinde diese Beispiele keineswegs achtsam, sondern viel eher oberflächlich und teilweise in ihrer Art alles andere als gewaltlos. Wo doch ahimsa auch ein sehr großes Thema ist.

 

Wir sprachen im Yogaunterricht in der Einleitung über meine Gedanken und Eindrücke und eine meine Teilnehmerinnen berichtete, dass ihr in einem Yogakurs vor ein paar Jahren auch eine solche Ausgrenzung passierte, weil sie Anfängerin war. Auch dies verletzte sie.

In diesem Zusammenhang kam mir, wie sooft in den letzten Tagen und Wochen, der Gedanke in den Kopf, dass diese Erlebnisse alles andere als achtsam sind.

 

Aber was bedeutet das Wort Achtsamkeit genau?

 

Betrachten wir die Quelle, so kommen wir zum Yoga Sutra. Hier wird im 2. Kapitel ab Sutra 2.29 der achtgliedrige Pfad des Yoga beschrieben.

Es ist wohl kein Zufall, dass die ersten beiden Glieder des astanga sich mit den Themen der Regeln im Umgang mit anderen (yama) und den Regeln des Umgangs mit mir selbst (niyama) beschäftigen.

 

Und genau als erstes der yama wird ahimsa – Gewaltlosigkeit in Gedanken, Sprache und Handeln gegenüber alle Lebewesen genannt. Dieses erste Yama ist ein Schlüsselaspekt für den gesamten Yogaweg. Nicht nur für die yama, sondern auch für die niyama. Denn alle anderen yama (satya – Wahrhaftigkeit; asteya – bewusster Umgang mit unserem Begehren; brahmacarya – reiner Lebenswandel und aparigraha – Anspruchslosigkeit) dienen ahimsa als höchstes Gut der Menschheit.

Wenn wir uns in unserem Tun im Umgang mit unseren Mitmenschen reflektiert betrachten, dann wird in den Beispielen der Posts der letzten Tage und Wochen sichtbar, dass viele der yama nicht zutreffen. Dass Menschen sich keineswegs gewaltlos und achtsam gegenüber ihren Mitmenschen verhalten.

 

Parallel dazu stehen die niyama – die Regeln im Umgang mit mir selbst. śauca – Reinheit + Sauberkeit des Körpers, der Gedanken und der Sprache; santosa– Zufriedenheit über das wie ich mich jetzt fühle; tapas – Selbstdisziplin und Leidenschaft; svadhyaya – die Selbstreflexion und isvarapranidhana – die Hingabe an unser gutes Gefühl.

 

Sowohl die yama als auch die niyama treffen für alle Menschen zu. Ein achtsamer Umgang miteinander, die Reinheit der Gedanken und der Sprache in Verbindung mit der Zufriedenheit meiner Selbst, würden eine wunderbare Grundlage bilden, um in rücksichtsvoller Weise mit meinen Mitmenschen zu kommunizieren und authentisch zu unterrichten. Aber auch in dieser Weise mit uns selbst umzugehen.

In unserer Gesellschaft ist es leider immer noch so, dass Menschen, die nicht ins Muster passen in Randgruppen gedrängt werden. Die, die sich aufgrund von Selbstzweifeln, mangelndem Selbstbewusstsein und immer wieder schlechten Erfahrung dort hin drängen lassen, haben es oft sehr schwer, sich aus diesem ihnen auferlegten Muster zu befreien. Wenn sie es dann schaffen, den Schritt heraus zu machen, dann gehört ihnen der größte Respekt für diese Leistung. Es kostet viel Mut und Kraft diese Hülle abzulegen und wahrhaftig zu sein.

Jede unachtsame Bemerkung z.B. im Yogakurs holt das alte Muster wieder ein Stück hervor. Der Trigger schmerzt.

 

Uns allen gehört die Chance, das gute Gefühl zu stärken, was wir erleben, wenn wir die Hülle abstreifen, wie eine Haut, die uns nicht gehört und die wir teils über Jahre tragen mussten. Und dabei ist es egal, wie wir sind. Jeder von uns trägt seine Geschichte. Ich muss diese Geschichten nicht kennen. Wenn aber in meinen Kursen, diese Öffnung und das Vertrauen geschieht, die Teilnehmer:innen lächelnd den Raum verlassen und mir manchmal sogar nach dem Kurs eine Nachricht senden und sich bedanken, dann weiß ich, dass ich sie erreicht habe. Sie haben etwas erlebt, was nicht so häufig in ihrem Leben passiert. Das macht glücklich.

 

Was nun geschieht im Laufe der Zeit ist Achtsamkeit. Wir werden aufmerksamer mit uns selbst, unseren Gedanken und Gefühlen. Und das Erleben von Ausgrenzung erfährt eine neue Bedeutung. Anstatt uns wieder in eine negative Bestätigung zurückzuziehen, wird hier die Reflexion über das Erfahrene in Kraft umgekehrt. Wir empfinden dieses Unrecht als treibende Kraft weiter zu machen auf unserem Weg zur Befreiung von der Hülle der Gesellschaft.

 

Wir lernen zu beginnen, uns gegen Vorurteile zu wehren. Und egal wie alt, welchen Geschlechts, welcher Herkunft und Religion wir sind, niemand muss diese übergestülpte Hülle tragen. Wir alle haben das Recht mit Achtsamkeit und Respekt unser Leben zu leben.

Wir sollten uns täglich bewusst machen, dass wir niemandes Geschichte kennen müssen, um respektvoll miteinander umzugehen.

Wenn wir es schaffen so miteinander und mit uns selbst zu sein, dann erst bekommt das Wort Achtsamkeit eine wirkliche Bedeutung.

Dann kann in den Yogakursen die Offenheit und das Vertrauen entstehen, was wir alle suchen und brauchen. Nämlich dort anzukommen, genau wie wir in diesem Moment sind und an diesem Punkt abgeholt zu werden. Jede Stunde aufs Neue. Immer und immer wieder.

Lasst uns dafür arbeiten. Auch damit wir Lehrende die Chance haben, es selbst im Kurs erleben zu dürfen, wenn wir uns vertrauensvoll auf die Matte begeben und von Kolleg:innen angeleitet werden.

 

Miteinander ACHTSAM sein – Yoga für Alle

Kommentar schreiben

Kommentare: 0